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Infobrief November 2023

Förderenergie rauf, Verfahrensenergie runter

vds im Gespräch mit Senator Rabe am 13.11.23

anlässlich des vds-Positionspapiers zum DirK-Verfahren

Liebe Mitglieder,

zum Ende dieses Jahres nimmt unsere Arbeit im Hamburger Landesverband Fahrt auf. Das ‚DirK – Verfahren‘ (Diagnostik in regionaler Kooperation) braucht nach unserer Überzeugung dringend eine Überarbeitung, mindestens eine Verschlankung des bürokratischen Aufwands.

Im Sommer haben wir Senator Rabe dazu unser Positionspapier vorgelegt, das wir hier anhängen. Es geht um eine qualitativ hochwertige, wirksame sonderpädagogische Förderdiagnostik. Und es geht um einen sachgerechten Einsatz vorhandener Ressourcen unter Bedingungen des zunehmenden Fachkräftemangels.

Am 13.11.23 sind wir gern der Einladung von Senator Rabe zum Gespräch gefolgt. Vier Mitglieder des vds Vorstands sowie drei Leitungen des Referats B4 ‚Inklusive Bildung‘ nahmen an dem Austausch teil. In angenehmer Gesprächsatmosphäre hörte Senator Rabe aufmerksam zu, fragte nach, nahm sich Zeit und vermittelte seine Wertschätzung für den fachlichen Rat des vds. Es konnte dargestellt werden:

  • Zu viele Stunden kostbarer Fachkräfte in Schule und ReBBZ gehen in die Erfüllung der Verfahrensvorgaben, zu wenige in die konkrete Förderung von Schülerinnen und Schülern.
  • Insbesondere in Zeiten des Fachkräftemangels ist das nicht zu verantworten.
  • Die Anlage eines Feststellungsverfahrens mit einer Statusdiagnostik in Jahrgang 3 widerspricht zeitgemäßen Ansätzen von Prävention und Prozessdiagnostik.
  • Im Zentrum des Verfahrens sollte ein Förderansatz mit Erfolgsaussicht stehen, nicht die Feststellung eines Defizits zur Auslösung von Ressourcen.
  • Schulen sind hinsichtlich der diagnostischen Kompetenzen ihrer Fachkräfte, der personellen Ausstattung mit Sonderpädagog*innen sowie der testdiagnostischen Ausstattung äußerst heterogen aufgestellt. Das Verfahren jedoch unterscheidet nicht. Hier kann Potential für eine sinnvolle Veränderung im Sinne von Schüler*innen, Eltern und Schulen liegen.
  • Die an den ReBBZ vorhandene Multiprofessionalität könnte gezielter genutzt werden, anstatt eine hohe Anzahl von Arbeitszeit aller Fachkräfte auf das Dirk Verfahren zu verwenden.
  • In Folge der Pandemie und der Zuwanderungswelle haben Förder- und Unterstützungsbedarfe zugenommen. Die im aktuellen Bildungsbericht dargestellten Zahlen zur LSE Diagnostik hält der vds für real höher und interpretiert sie anders, als dargestellt.
  • Lehrauftragsnehmer*innen, die sonderpädagogische Aufgaben wahrnehmen, sind derzeit nicht an Beratungs- oder Fortbildungsangebote außerhalb der eigenen Schule angebunden. Diese zukünftige, noch nicht fertig qualifizierte Generation von Pädagog*innen für die gewaltigen Herausforderung inhaltlich zu stärken, ist dem vds ein besonderes Anliegen.

Im Ergebnis beauftragte Senator Rabe das Referat B4 aus dem Gespräch heraus, das Verfahren zu überarbeiten und Vorschläge zur Verschlankung des DirK-Verfahrens zu entwickeln. Angesichts des Mangels an Sonderpädagog*innen im System soll die Anzahl von Sonderpädagog*innen und Lehrauftragsnehmer*innen erhoben werden.

Wir hoffen, mit dieser Initiative die Interessen betroffener Schülerinnen und Schüler im Sinne einer gelingenden Förderung und ihrer Lernfortschritte sowie der Fachkräfte in Schule und ReBBZ im Sinne eines wirksamen Einsatzes ihrer wertvollen Fachkompetenz zu unterstützen.

vds Positionspapier Sonderpädagogische Diagnostik: ‚DirK‘ Verfahren

Kritische Reflektion und dringende Empfehlungen zur Anpassung des Verfahrens

Vorwort

In vorliegendem vds Positionspapier erfolgt eine qualitative Bewertung des sog. ‚DirK‘ Verfahrens (Diagnostik in regionaler Kooperation). Dabei geht es nicht darum, ein Mehr an Ressourcen zu fordern. Angesichts einer realistischen Einschätzung einer qualitativ möglichst hochwertigen und das bedeutet wirksamen sonderpädagogischen Förderdiagnostik unter Bedingungen des Fachkräftemangels geht es um einen sachgerechten Einsatz vorhandener Ressourcen. Insofern geht es in einem ersten Schritt um eine Verschlankung des Verfahrens.

Der vds diskutiert auch auf Bundesebene Alternativen zum derzeit verbreiteten Modell einer Statusdiagnostik. Prozessbegleitende Diagnostik soll dazu dienen, individuell geeignete Unterstützungsangebote zur Sicherung von Bildungsteilhabe machen zu können. Dies kann Gegenstand eines Folgeschrittes sein. Im Sinne der Umsetzbarkeit bezieht sich das vorliegende Papier auf den ersten Schritt einer Verschlankung.

Gegenstand der sonderpädagogischen Diagnostik im Kontext der inklusiven Schule in Hamburg sind ebenfalls die Verfahren der Begutachtung spezieller sonderpädagogischer Förderbedarfe. Beide Verfahren hängen hinsichtlich des grundlegenden Verständnisses diagnostischer Prozesse und Erträge eng zusammen. Vorliegende Positionierung beschränkt sich jedoch zunächst auf das ‚DirK‘ Verfahren.

Einleitung

Der vds bewertet das Verfahren zur Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfes LSE ‚DirK‘ im Jahr 2023 als nicht mehr zeitgemäß. Hingegen begrüßen wir eine niedrigschwellige und den Lernprozess begleitende Diagnostik mit dem Ziel einer belastbaren Datengrundlage um aufgrund dieser die Förderung abzuleiten. Im angelsächsischen Bereich zeigen weitverbreitete Modelle auf, wie es funktionieren kann, eine ausgewogene Balance zwischen prozessbegleitender Diagnostik, dynamischer Förderung und wissenschaftlich fundierter Prävention zu erzielen. Diese Modelle könnten die bereits vielfältig vorhandenen Fördermaßnahmen (Förderstunden in der GS, §45-, §28a, AUL) gewinnbringend strukturieren.

Die Teilhabe an Bildung und die Unterstützung der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen muss schulbehördliches Handeln prioritär leiten. Dies gilt in besonderer Weise für Schülerinnen und Schüler mit erschwerten Lebens- und Lernbedingungen. Die kindbezogenen Ergebnisse der derzeit eingesetzten diagnostischen Verfahren unterstützen die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen unzureichend. Unsere Erfahrungen als vds Vorstandsmitglieder in diversen Bildungseinrichtungen zeigen, dass die Ergebnisse der Gutachten in vielen Fällen zu keiner wirkungsvollen, in den Schul- und Unterrichtsalltag sinnvoll eingebundenen Förderung führen.

Im Folgenden wird eine kritische Beurteilung des Verfahrens vorgenommen sowie dargestellt und begründet, welche Elemente des Verfahrens als erhaltenswert, welche als veränderungswürdig vom vds Hamburg eingeschätzt werden. In die vorliegende Beurteilung fließen multiperspektivische Erfahrungen und Beobachtungen aus der Praxis in Schule, ReBBZ Diagnostik und Beratung, Aus- und Fortbildung sowie Wissenschaft ein.

Struktur

  1. Aktuelle Lage
    • Fachkräftemangel
    • Bezug zu aktuellen Ansätzen der Forschung
    • Ressourcensteuerung
    • Förderung
  2. Verfahrensziele
  3. Exzellenzanforderungen
  4. Verlaufsdiagnostik
  5. Bedeutung des ‚DirK‘ Verfahrens für Eltern und Kinder
  6. Multiprofessionalität gezielt nutzen
  7. Evaluierung und Vorschlag zur Anpassung des Verfahrens
  8. Ausblick
  1. Aktuelle Lage

Prägende Elemente der Zeit, in der wir heute arbeiten, sind deutlich verändert gegenüber dem Zeitpunkt der Entwicklung bzw. Implementierung des ‚DirK‘ Verfahrens. So haben in Folge der Pandemie sowie als Folge der erhöhten Anzahl zugewanderter Menschen Förder- und Unterstützungsbedarfe quantitativ zugenommen. Für das ‚DirK‘ Verfahren liegen aktuell deutlich mehr Meldungen vor als im Vorjahr. Wissenschaftliche Untersuchungen belegen die Zunahme von Belastungsfaktoren bis hin zur Überschreitung der Schwelle zum sonderpädagogischen Förderdarf (IQB Bildungstrend, COPSY, IGLU).

  1. Fachkräftemangel

Der Fachkräftemangel bringt die Systeme in eine Unterversorgung. Die zeitintensive Bearbeitung des ‚DirK‘ Verfahrens für alle beteiligten Fachkräfte in Schule und ReBBZ wirkt sich zusätzlich aus. Weniger Zeit kann für die Förderung von Schülerinnen und Schülern genutzt werden. In der Folge zeigt sich Überlastung und Überforderung von Fachkräften in der Praxis. In einer Zeit zunehmender Förder- und Unterstützungsbedarfe von Kindern und Jugendlichen ist es dringender denn je erforderlich, Verwaltungsverfahren zu verschlanken, um die Fachkompetenz der sinkenden Zahl von Fachkräften gezielt einzusetzen. Erforderlich ist daher eine grundlegende Anpassung des Umgangs mit den zur Verfügung stehenden fachlichen Ressourcen unter den aktuellen Bedingungen.

  •  Bezug zu aktuellen Ansätzen der Forschung

Der Ansatz des aufwendig gestalteten sonderpädagogischen Feststellungsverfahrens widerspricht zentralen Erkenntnissen aus der Präventionswissenschaft. Das aktuelle Vorgehen einer Feststellungsdiagnostik in Jahrgang 3 im ‚DirK‘ Verfahren suggeriert, dass eine differenzierte sonderpädagogische Diagnostik für die Förderbedarfe L, S und E erst im dritten Schulbesuchsjahr sinnvoll ist. Man könnte auch sagen, es provoziert geradezu, dass das ‚DirK‘ Verfahren abgewartet wird, da für den hohen Aufwand des Verfahrens in den meisten Grundschulen keine ausreichenden Ressourcen zur Verfügung stehen. Wird eine sonderpädagogische Diagnostik unter Einbeziehung standardisierter Testverfahren von der BSB als sinnvoll eingeschätzt, sollte diese so früh wie möglich stattfinden und das Ziel einer passgenauen Förderung verfolgen. Eine zeitliche Festlegung auf ein bestimmtes Schuljahr ist fachlich nicht zu rechtfertigen. Zwar enthält das aktuell gültige Verfahren die Möglichkeit bereits frühzeitig einsetzender Diagnostik, Beratung und Förderung, praktisch wird dies jedoch unter Beibehalt des vorgegebenen Zeitpunktes für die Diagnostik in Jahrgang 3 selten umgesetzt. Eine Diagnostik nach in Jahrgang 3 erfolgtem ‚DirK‘ Verfahren wird in der Praxis ebenfalls kaum mehr umgesetzt. Dies zeigt, dass das Ziel der Ressourcenzuweisung Priorität hat gegenüber dem Ziel der Förderung von Schülerinnen und Schülern. Darum aber sollte es gehen.

  •  Ressourcensteuerung

Das ‚DirK‘ Verfahren bindet einen hohen Anteil der Ressourcen von Fachkräften. Die wenigen erfahrenen sonderpädagogischen Fachkräfte in Schule und ReBBZ investieren aufgrund der Verfahrensvorgaben einen großen Anteil ihrer Arbeitszeit. Nach Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs als Abschluss des entsprechenden Verfahrens ist noch keine Stunde sonderpädagogischer Förderung beim Schüler / bei der Schülerin angekommen – und, je nach Personallage der Schule, kann auch kaum mehr eine ankommen, da diese selten verfügbar sind.

  • Förderung

Im ‚DirK‘ Diagnosebogen als Ergebnis des Verfahrens finden sich Förderempfehlungen. Nur selten werden die Empfehlungen umgesetzt. Dies wirft die Frage nach dem Kosten-Nutzen-Verhältnis des ‚DirK‘ Verfahrens in der aktuellen Fassung auf (s. 1c Ressourcensteuerung und 3 Exzellenzforderungen).

  • Verfahrensziele

Mit dem ‚DirK‘ Verfahren werden qualitative und quantitative Ziele verfolgt.

Diagnostisch gestützte Förderziele sollen für Schülerinnen und Schüler ermittelt und als Grundlage der Umsetzung mittels Förderplan festgelegt werden.

Ressourcen sollen in Form von Arbeitszeit von Fachkräften den Schulen zugewiesen werden. Sonderpädagogischer Förderbedarf soll rechtssicher beschieden werden.

  • Der vds stellt fest, dass die qualitativen Ziele aufgrund fehlender erfahrener Fachkräfte sowie fehlender Arbeitszeit nicht bzw. unzureichend erreicht werden.
  • Der vds stellt fest, dass das Instrument des Förderplans in der Praxis eine sehr unterschiedliche Rolle einnimmt, in den seltensten Fällen jedoch in der jetzigen Form als wesentliches Alltagsinstrument genutzt wird.  
  • Der vds stellt in Frage, ob die Zuweisung von Ressourcen aufgrund des mit hohem Aufwand hergestellten Status gewinnbringend für Schülerinnen und Schüler, Fachkräfte sowie Schulen als Systemen ist.
  • Der vds stellt in Frage, ob das Verfahren aus Sicht des Steuerzahlers die Verhältnismäßigkeit wahrt zwischen Aufwand und Ertrag.
  • Der vds stellt fest, dass die Form der Diagnostikverfahren deutlich zielorientierter organisiert werden könnte, indem bspw. kollaborative, digitale Tools zur asynchronen Vorbereitung von Förderkonferenzen genutzt werden. Ein großer Vorteil wäre auch eine digitale, automatisierte Dokumentation, die alle Verfahrensbeteiligten einsehen können.

Aus Sicht des vds darf die Frage, ob Schulen Ressourcen für Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarfen nach Status also ‚pro Kopf‘ oder systembezogen zugewiesen werden, nicht Ausgangspunkt, sondern nur Folge einer fachlichen Auseinandersetzung sein. Das Ziel muss für die BSB wie auch für jede einzelne Schule die Ressourcenverteilung sein, die die bestmögliche Förderung von Schülerinnen und Schülern mit den bestmöglichen Lern- und Entwicklungsfortschritten erbringt. Dies ist derzeit aus Sicht des vds nicht gegeben.

  • Exzellenzanforderungen

Der vds stellt fest, dass das ‚DirK‘ Verfahren Exzellenzforderungen stellt, die jedoch in der Realität unter den bestehenden Bedingungen nicht umgesetzt werden können. Nach Ansicht des vds stehen nicht ausreichend Fachkräfte zur Verfügung, die den fachlichen Anspruch erfüllen und dauerhaft erhalten können.

Das Verfahren wird umgesetzt unter den Vorzeichen

  • einer Unterversorgung an Fachkräften insgesamt im Rahmen eines eklatanten Fachkräftemangels
  • einer erheblichen Unterversorgung mit Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen ohne Aussicht auf Anpassung in absehbarer zeitlicher Perspektive mit Blick auf Ausbildungskapazitäten
  • einer erheblich geringeren Qualität an sonderpädagogischer Fachkompetenz durch die Pensionierungswelle erfahrener Diagnostikerinnen und Diagnostiker
  • einer erheblich geringeren Qualität an sonderpädagogischer Fachkompetenz durch erforderliche Delegation an unerfahrene sowie unausgebildete Kräfte, die die Aufgaben von Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen übernehmen müssen
  • qualitativ und quantitativ zunehmender Förderbedarfe von Schülerinnen und Schülern in Folge bspw. der Pandemie sowie der erhöhten Anzahl zugewanderter Kinder und Jugendlichen mit oft hoch belasteter Lebens- und Bildungsbiografie.

In der Folge entstehen Belastungen für Mitarbeitende, da die geforderten Anforderungen nicht erfüllt werden können. Es werden kindbezogene Ergebnisse erarbeitet, die für Schülerinnen und Schüler weichenstellend sind, jedoch in der Praxis nicht immer den definierten Qualitätsstandards genügen.

Aus Perspektive des vds haben die Anforderungen im Verfahren dazu geführt,

  • dass zwischen Schulen und ReBBZ statt einer befruchtenden, gewollten und gegenseitig wertgeschätzten Partnerschaft eine mitunter belastete Kooperation entstanden ist.
  • dass sich Fachkräfte in den Schulen in ihrer Fachlichkeit missachtet statt gestärkt fühlen.
  • dass aufgrund des Mangels an Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen in den ReBBZ Beratungsabteilungen Psychologinnen und Psychologen die Diagnostik übernehmen müssen und deren eigene Fachkompetenz dadurch weniger zielgerichtet in anderen Feldern genutzt werden kann.
  • dass zu viele Arbeitsstunden in das Ausfüllen diverser umfangreicher Formulare fließen, die dann an der entscheidenden Stelle fehlen, nämlich der eigentlichen Förderung der Kinder und Jugendlichen, die davon profitieren sollen und denen das ganze Verfahren dienen muss.
  • ‚Verlaufsdiagnostik‘

In der inklusiven Schule nimmt die Bedeutung von ‚Verlaufsdiagnostik‘ bzw. ‚Prozessdiagnostik‘ zu. Sie dient der Untersuchung der Wirksamkeit von Unterrichtsmethoden hinsichtlich des Lernzuwachses von Schülerinnen und Schülern.

Als vds befürworten wir Verlaufsdiagnostik, weil Fachkräfte dadurch Hinweise für die Verbesserung von Unterricht erhalten. Auch erhalten sie eine direkte kindbezogene Rückmeldung zur Wirksamkeit der angewendeten Fördermaßnahmen. Durch dieses direkte Feedback werden Fachkräfte in die Lage versetzt, präventiv zu handeln, bevor sich Störungen manifestieren.

Das DirK Verfahren stellt mit der verbindlichen Diagnostik in Jahrgang drei eine Statusdiagnostik dar. Der Ansatz einer Einbettung in einen längerfristigen Beratungsprozess ggf. beginnend mit der 4 ½ jährigen Untersuchung wird vom vds positiv bewertet und unterstützt. Dies ist jedoch nicht gleichzusetzen mit einer Prozessdiagnostik.

  • Die Bedeutung des ‚DirK‘ Verfahrens für Eltern und Kinder

Die Situation zu einem festgesetzten Zeitpunkt in Klasse 3 Kinder mit erschwerten Lebens- und Lernbedingungen zu einem diagnostischen Verfahren zu verpflichten, lässt sich entwicklungspsychologisch nicht begründen.

Anders als bei einer an Förderung orientierten Prozessdiagnostik ist für Eltern das ‚DirK‘ Verfahren mit dem Scheitern des Kindes verbunden. Im Zentrum des Verfahrens steht nicht der Entwurf eines Förderansatzes, der zu einem Erfolg führen soll, sondern die Feststellung eines Defizits, aufgrund dessen für die Schule in der Sekundarstufe I eine Ressource ausgelöst werden soll.

Für die Kinder kommen – oft nach Jahren der Diagnostik und Therapie in ärztlichen/therapeutischen Praxen – fremde Personen in die Schule, die mit ihnen unter außergewöhnlichen Rahmenbedingungen sehr spezifische Anforderungen bearbeiten, die zu ihrem Schul- und Unterrichtsalltag üblicherweise keinen Bezug und auch keine erkennbaren Auswirkungen haben.
Für Eltern wie schulisches Personal ist es oft nicht nachvollziehbar, dass der Bedarf einer umfassenden Testdiagnostik, der durch die hoch aufwändige L, S und E-Diagnostik (‚DirK‘) vorgegeben wird, individuell nicht früher oder auch später stattfinden kann.

  • Multiprofessionalität gezielt nutzen

Die BSB und der vds stimmen überein in der Überzeugung, dass Multiprofessionalität dann einen Nutzen entfaltet, wenn sie gezielt und koordiniert eingesetzt wird. Dazu gehört, dass die einzelne Profession ihr Profil beibehält und ihre jeweiligen Spezifika einbringt. Aufgrund des Mangels an sonderpädagogischen Fachkräften werden in den ReBBZ jedoch vielfach andere Professionen eingesetzt, insbesondere Psychologinnen und Psychologen. Deren diagnostische Fachkompetenz ist zweifelsfrei vorhanden. Sonderpädagogische Diagnostik hat jedoch die Aufgabe der Einbettung in pädagogische und unterrichtliche Wirkzusammenhänge. Dazu sind Psychologinnen und Psychologen nicht ausgebildet. Zudem fehlt ihre Fachkompetenz an den Stellen, an denen sie gebraucht wird, weil sie auf das Feld der sonderpädagogischen Diagnostik angewendet und somit verbraucht wird.

Auch in den allgemeinen Schulen werden sonderpädagogische Aufgaben aufgrund des Fachkräftemangels durch nicht qualifizierte Personen ausgeführt. Ein BSB-Monitoring, wie viele nicht ausgebildete Fachkräfte für sonderpädagogische Förderung (bspw. studentische Lehrbeauftragte) eingesetzt werden, gibt es nicht. So die Antwort auf eine entsprechende Anfrage des vds gegenüber dem IFBQ, weitergeleitet an B 41. Dieses Monitoring obliege den selbstverantworteten Schulen. Der vds beobachtet eine deutliche Zunahme solcher Delegationen mit den damit einhergehenden qualitativen Einbußen.

Die Schaffung und Einbindung der Funktion der Förderkoordination begrüßt der vds. Die Förderkoordinatorinnen und Förderkoordinatoren setzen den Fokus auf die zu fördernden Schülerinnen und Schüler und kennen die fachlichen Kompetenzen der Kolleginnen und Kollegen. Dies ist eine zentrale Komponente für eine gelingende multiprofessionelle Teamarbeit im Sinne der Förderung.

  • Evaluierung und Vorschlag zur Anpassung des Verfahrens

Seit Einführung des ‚DirK‘ Verfahrens hat sich gesellschaftlich und somit auch im schulischen Kontext vieles verändert. Es ist ein regulärer Vorgang, ein Verfahren zu erproben, zu beobachten, auszuwerten und anzupassen. Damals begründete Annahmen bezogen sich auf andere Rahmenbedingungen als heute. Als vds bitten wir die BSB dringend, Anpassungen vorzunehmen und schlagen konkret Folgendes vor: 

Es gibt nicht nur die eine Möglichkeit, diagnostische Anforderung und Kompetenz gänzlich in den ReBBZ oder aber gänzlich in den Schulen anzusiedeln, sondern es sollte ein praktikabler und zielführender Mittelweg gewählt werden:

Schulen sind hinsichtlich ihrer

  • jeweiligen Erfahrungen mit Diagnostik,
  • personellen Versorgung mit diagnostisch bewanderten Kolleginnen und Kollegen sowie
  • testdiagnostischen Ausstattung

äußerst heterogen aufgestellt. Schulen mit geringer Ausstattung können Beratung und Unterstützung durch das ReBBZ auf Anfrage erhalten. Schulen mit nachweislich guter Ausstattung können die Diagnostik selbst bearbeiten. So wäre die selbstverantwortete Schule hier gestärkt und Ressourcen eingespart ohne dabei die Qualität zu vermindern.

Für diese Schulen gälte es lediglich Detailfragen zu klären: 

  • Sind vorhandene Stellen für sonderpädagogische Fachkräfte auch mit solchen besetzt oder fehlen diese?
  • Können die verschiedenen Testverfahren zentral ausgeliehen werden oder werden Ressourcen zu deren Anschaffung zur Verfügung gestellt?
  • Werden WAZ (bspw. analog zum Viereinhalbjährigen Vorstellungsverfahren) zugewiesen für die zeitaufwändige Durchführung der sonderpädagogischen Diagnostik?
  • Können am LI Fortbildungen zur sonderpädagogischen Diagnostik angeboten werden, um eine hohe Qualität sowohl der Anwendung der jeweiligen Verfahren als auch der daraus folgenden Förderung abzusichern?

Zu beachten ist dabei, dass zum Zeitpunkt der Gründung der sog. ‚Diagnostik‘ Stellen an den ReBBZ ausreichend erfahrene Fachkräfte verfügbar waren, um diese fachlich hochwertig zu bekleiden. Dies ist aufgrund des Fachkräftemangels heute nicht mehr gegeben und wird sich zukünftig aufgrund von Pensionierungen weiter verschärfen. In der Folge bearbeiten auch in den ReBBZ Fachkräfte diese Aufgaben, die keine Sonderpädagoginnen oder Sonderpädagogen sind und die sich neu einarbeiten müssen. Der qualitative Vorsprung der ReBBZ mit ihren sogenannten ‚Diagnostikfachkräften‘ gegenüber den Schulen ist insofern unterdessen vermindert. Gleichwohl besteht er nach wie vor hinsichtlich der Vertiefung der Kompetenz sowie hinsichtlich der wertvollen Perspektive auf Schülerinnen und Schülern von außerhalb des Systems.

Gegenüber den Schulen ist ein Monitoring durch die BSB erforderlich. Schulen müssen nachweisen, über welche personellen Ressourcen von sonderpädagogischen Fachkräften, fachspezifischen Kenntnisse im Bereich der sonderpädagogischen Diagnostik sowie Testdiagnostischer Fachkenntnisse, Erfahrungen und materieller Ausstattung (Testverfahren) sie verfügen. Für Schulen, die über besonders gering ausgeprägte fachliche Ressourcen verfügen, können durch die regionalen Schulaufsichten entsprechende Entwicklungsschwerpunkte gesetzt werden.

Mit einem solchen Vorgehen würden gleichzeitig Ressourcen von Fachkräften wieder zur Verfügung stehen, die derzeit aufgrund der umfangreichen Vorgaben fachfremd zu diagnostischen Aufgaben herangezogen werden. Die Aufgabenfülle bspw. für Psychologinnen und Psychologen und Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen in Folge der Pandemie und der erhöhten Anzahl zugewanderter Menschen ist nachweislich hoch. Ein fachfremder Einsatz aufgrund hoher Verfahrensanforderungen ist nicht zu rechtfertigen und nicht zu verantworten. So würde ein weiterer Vorteil erreicht, denn dies würde der zwischen BSB und vds einvernehmlichen Entwicklungsrichtung eines gezielten Nutzens von Multiprofessionalität dienen.

Zusammenfassend setzen wir uns für eine Verschlankung des Verfahrens sowie für den gezielten, wirksamen Einsatz der vorhandenen Ressourcen im Sinne der Schülerinnen und Schüler sowie der Fachkräfte ein.

  • Ausblick

Perspektivisch würde der vds gern in den Austausch mit der BSB kommen, wie der Erhalt sonderpädagogischer Fachkompetenz unter den erschwerten Bedingungen des Fachkräftemangels gelingen kann. Hier sind die Qualifizierung von bspw. studentischen Lehrbeauftragten und Seiteneinsteigenden sowie die Weiterqualifizierung von Lehrkräften in der allgemeinen Schule bspw. über die ‚Schnittstelle Inklusion‘ der ReBBZ zu nennen. Dies ist jedoch nicht Gegenstand des vorliegenden Positionspapiers.

Über die Verfahren der Begutachtung spezieller sonderpädagogischer Förderbedarfe wünschen wir uns ebenfalls den Austausch mit der BSB wie oben benannt.

Inklusive Bildung in Hamburg verfolgt das Ziel einer konsequenten Teilhabe für jede Schülerin und jeden Schüler. Kategorisierung wirkt sich ausgrenzend aus, selbst wenn diagnostische Prozesse mit dem Ziel passender Fördermaßnahmen durchgeführt werden. Der vds wünscht sich einen intensiven Austausch mit der BSB zu vorliegendem Positionspapier.